fafner | 19. March 2008 17:40 | Vorratsdatenspeicherung: „Sauger“ haben freie Bahn Zitat:
Selten fasst das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss, der Menschen nutzt, die etwas Illegales tun. Die Entscheidung der Richter, die Herausgabe von auf Vorrat gespeicherten Internet- und Telefondaten an die Staatsanwaltschaft vorerst nur zuzulassen, wenn ein Verdacht auf eine „schwere Straftat“ vorliegt, hat einen - sicherlich unerwünschten - Nebeneffekt: Offensichtlich ermöglicht er Nutzern von Tauschbörsen, Musik- und Videodateien illegal herunterzuladen, ohne dass ihr Handeln bestraft werden kann.
Klar ist aufgrund des Urheberrechtsgesetzes: Wer kopierte Dateien wie etwa Lieder im MP3-Format bei KaZaA, eDonkey, eMule oder BitTorrent anbietet, macht sich ebenso strafbar wie jemand, der dort „offensichtlich rechtswidrig hergestellte“ Dateien herunterlädt. Aber wie können die betrogenen Urheber die gegen das Gesetz verstoßenden Tauscher erwischen?
Selten anonym
„Sauger“ von Musik- oder Videodateien sind in Online-Tauschbörsen keineswegs anonym unterwegs. Dafür sorgt ihr Internetzugang. Unter den scheinbar nutzlosen Zifferkolonnen, die Provider wie etwa T-Online oder Arcor auf Vorrat speichern und ab Januar 2009 sogar ein halbes Jahr aufheben müssen, steckt eine Zahl, die mehr verrät als manchem Surfer lieb sein dürfte: die IP-Adresse. Sie besteht aus vier Zahlenkolonnen, zum Beispiel 84.56.297.181. Wer im Internet unterwegs ist, weist sich mit dieser Nummer aus, wenn er Websites, Tauschbörsen oder Server besucht.
Die meisten Surfer bekommen bei jedem Gang durch das Internet vom Provider eine neue Identifikationsnummer. Komplettanbieter wie T-Online oder Arcor, aber auch sogenannte Resaler wie 1&1 oder Freenet, und andere Anbieter können jeder gespeicherten IP-Adresse eindeutig einen Kunden zuweisen.
Keine schwere Straftat
Für Medienkonzerne, die gegen die illegale Nutzung von Tauschbörsen vorgehen, war die IP-Adresse bislang die einzige Möglichkeit, den Surfern auf die Schliche zu kommen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat sie nun versperrt. Denn das illegale Herunterladen können die Urheber zwar weiterhin verfolgen, die Sauger können sie aber nicht mehr belangen. Denn aufgrund der neuen Rechtslage sind die Daten „nur dann an die Strafverfolgungsbehörde zu übermitteln, wenn sie Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO sind“. Verletzungen des Urheberechts werden seit einigen Jahren im großen Stil verfolgt. Mehrere zehntausend Strafanträge hat allein die Firma proMedia GmbH gestellt. Sie vertritt etwa vierzig Musiklabels. Mit einer speziellen Software registrieren solche Anti-Piraterie-Firmen Rechtsverstöße in Tauschbörsen. Daraufhin gehen Strafanzeigen gegen Unbekannt an die Staatsanwaltschaft - mit Datum, IP-Adresse und Dateiname als Beweisgrundlage. Die Staatsanwaltschaft hatte bisher die Pflicht, beim Provider herauszufinden, wer hinter der jeweiligen IP-Adresse steckt. Diese Pflicht ist nun entfallen. Das illegale Downloaden von Dateien, also der Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz, ist keine schwere Straftat.
„Ganz erhebliche Konsequenzen“
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, erwartet „ganz erhebliche Konsequenzen“ für die Praxis der Musikindustrie. Das bisherige Verfahren sei nach den Karlsruher Vorgaben nicht mehr zulässig. Die Speicherung von Telekommunikationsdaten sei weiterhin erlaubt, allerdings nur für Abrechnungszwecke.
Der Beauftragte des Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, geht mit seiner Interpretation der Entscheidung der Karlsruher Richter sogar noch weiter: „Die jüngste Initiative des Bundesrates zur Nutzung der Vorratsdaten zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen ist einzustampfen.“
Provider wechseln
Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch nur einem Eilantrag teilweise stattgegeben. Dieser Beschluss gilt vorerst nur sechs Monate; das Urteil in der Sache steht noch aus. Einer der Kläger, der Jurist Patrick Breyer vom „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“, geht davon aus, dass die Richter die Entscheidung nicht mehr ändern werden. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass der Beschluss gekippt wird.“
Breyer weist darauf hin, dass die Provider nach wie vor die Möglichkeit haben, die Daten zu speichern. Und zwar sieben Tage lang, weil diese Frist nicht als Vorratsspeicherung gilt. Theoretisch ist es also möglich, dass Firmen wie proMedia versuchen, in dieser Zeit an die Daten zu kommen und das Gesetz zu unterlaufen. Doch hier gibt es Möglichkeiten jenseits von Beschlüssen und bevorstehenden Gesetzesänderungen, den Speichervorgängen der Provider zu entgehen. „Man wechselt einfach zu einem Provider, der die Daten überhaupt nicht speichert“, sagt Breyer. | Text: FAZ.NET |